Der Arbeitskräftemangel entspannt sich – drei Gründe, weshalb das nur vorübergehend ist
Endlich, so heisst es, habe sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt entspannt: Die Zahl der offenen Stellen sinkt, Arbeitskräfte lassen sich wieder leichter rekrutieren. Tatsächlich liegen die BFS-Zahlen unter den Spitzen unmittelbar nach der Covid-Krise. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit – für manche ein Zeichen, der Fach- oder gar der Arbeitskräftemangel sei überwunden.
Die Alarmglocken des Fachkräftemangels läuteten noch vor einigen Jahren laut – doch läuteten sie zu laut? Nein. Aus mindestens drei Gründen.
Erstens: Demografie schlägt Konjunktur
Wetter ist nicht Klima. Dass derzeit etwas Druck weg ist, hat vor allem konjunkturelle Gründe. Zölle, geopolitische Spannungen, Schwäche in China, alles hat Auswirkungen und bringt grosse Unsicherheit. Folglich zögern Unternehmen mit Neuanstellungen und die Zahl der offenen Stellen sinkt.
Ausserdem vergleichen wir die Gegenwart mit einer Ausnahmesituation kurz nach der Pandemie. Damals schoss die Nachfrage nach Arbeitskräften in die Höhe wie eine gespannte Feder, die losgelassen wurde. Heute hat sich der Arbeitsmarkt etwas beruhigt. Die Zahl der offenen Stellen bleibt aber – trotz nachlassender Konjunktur – immer noch höher als vor der Pandemie (siehe Grafik «Offene Stellen»).
Kurzfristige Konjunkturschwächen ändern nichts am strukturellen Grundproblem: Weil die Babyboomer-Generation in Pension geht und nicht genügend inländische Arbeitskräfte nachrücken, verliert die Schweiz Jahr für Jahr rund 25’000 Arbeitskräfte.
Kurz: Die vermeintliche Entspannung ist temporär, die Demografie belastet die Arbeitskräftebilanz.
Zweitens: Zuwanderung hilft – aber sie kaschiert das Problem
Ein grosser Teil der Arbeitsnachfrage konnte in den letzten Jahren durch Zuwanderung aus der EU gedeckt werden. Wie die untenstehende Grafik zeigt, reagiert die Nettozuwanderung ziemlich präzise auf die offenen Stellen, sie ist also durch die Knappheit des Arbeitsmarkts gesteuert: Ist die Quote der offenen Stellen hoch, so nimmt die Zuwanderung aus der EU zu, ist sie tief, so ist auch die Zuwanderung tief.
Die Zuwanderung von Arbeitskräften mittels Personenfreizügigkeit lindert also den Mangel – sie täuscht aber auch darüber hinweg und kaschiert, dass der Mangel im Inland strukturell bleibt. Problematisch ist, dass unklar bleibt, wie stark die Schweiz künftig noch auf diesen Kanal zur Deckung ihres Arbeitskräftebedarfs zählen kann.
Schaut man genauer hin, wird klar: Die EU-Länder stehen vor denselben demografischen Herausforderungen. Überall werden Arbeitskräfte knapper, und die Anreize werden erhöht, um qualifizierte Arbeitskräfte im eigenen Land zu halten. Das spiegelt sich auch in den Daten. Die Dynamik der Nettozuwanderung in die Schweiz hat nachgelassen. Seit rund zehn Jahren hält sie nicht mehr mit der Zahl der offenen Stellen Schritt.
Auch für Zuwanderer muss der Deal stimmen. Die steigenden Wohnkosten machen die Schweiz weniger attraktiv. Dieses Jahr steigt die Zahl der Auswanderer gar auf ein 10-Jahres-Hoch. Dies mag hauptsächlich konjunkturelle Gründe haben, aber die Frage stellt sich, ob dies auch als erstes Zeichen einer sinkenden Attraktivität interpretiert werden kann.
Hinzu kommt eine wachsende Skepsis in der Bevölkerung. Zuwanderung bringt zwar Entlastung auf dem Arbeitsmarkt, für die Unternehmen und die Sozialwerke, verursacht aber auch Kosten – etwa bei Infrastruktur und Wohnraum. Ob ein ähnliches Zuwanderungsniveau wie in den letzten Jahren politisch mehrheitsfähig bleibt, ist offen.
Drittens: Es muss ein Match sein
Die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Doch wer daraus schliesst, der Arbeitskräftemangel sei überwunden, irrt. Beides kann zugleich bestehen – mehr Arbeitssuchende und trotzdem offene Stellen.
Der Arbeitsmarkt funktioniert nicht wie ein gewöhnlicher Markt. Wer Arbeit sucht, nimmt nicht jede Stelle an. Und wer Personal sucht, stellt nicht jeden Bewerber ein. Es muss passen: Qualifikationen, Erfahrung, Lohn, Standort, Erwartungen.
Oder in der Sprache der Jungen gesagt: Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen beide nach rechts swipen. Und wie beim Dating braucht das manchmal Zeit.
Wenn dieser Match nicht gelingt, bleiben Arbeitskräfte ohne Stelle, obwohl Unternehmen händeringend suchen. Im internationalen Vergleich steht die Schweiz beim «Matching» gut da. Unser Berufsbildungssystem bildet Arbeitskräfte entlang der Bedürfnisse des Arbeitsmarkts aus – damit trägt es massgeblich dazu bei, dass Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt besser zusammenfinden als anderswo, weshalb nicht zuletzt die Arbeitslosigkeit bei den Jungen in der Schweiz tief und viel tiefer ist als im europäischen Ausland. Doch seit der Covid-19-Pandemie zeigen sich Anzeichen, dass dieses Matching etwas schwieriger geworden ist.
Fazit
Die aktuelle Entspannung ist keine Trendwende, sondern höchstens eine kurze konjunkturelle Verschnaufpause, bevor die Demografie wieder durchschlägt. Immer mehr Menschen verlassen den Arbeitsmarkt, während weniger nachrücken. Die Zuwanderung hilft – doch wie lange noch? Auch eine steigende Arbeitslosigkeit ist kein Indiz für weniger Arbeitskräftemangel.
Statt sich in trügerischer Sicherheit zu wiegen, gilt es jetzt, die richtigen Hebel im Inland zu bedienen.
Erstens, das vorhandene Arbeitskräftepotenzial muss noch besser ausgeschöpft werden, besonders bei den Müttern und den älteren Personen – mehr Erwerbsbeteiligung, höhere Pensen, mehr Arbeit im Alter und Beseitigung von Fehlanreizen.
Zweitens müssen wir die Produktivität steigern – durch Investitionen in KI, Innovation, durch Stärkung der Berufsbildung und den Abbau überflüssiger Bürokratie.
Nur so lässt sich der Wohlstand halbwegs halten, wenn künftig immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Menschen arbeiten.
Der Artikel stammt von der Website des Schweizerischen Arbeitgeberverbands.
Klipp und klar
- Die Zahl der offenen Stellen sinkt derzeit. Eine Konsequenz der abkühlenden Konjunktur. Mittelfristig wird die Zahl der offenen Stellen aus demografischen Gründen steigen.
- Die Zuwanderung lindert den Arbeitskräftemangel, verdeckt aber die strukturellen Engpässe im Inland – und sie ist weder unbegrenzt noch selbstverständlich.
- Eine höhere Arbeitslosigkeit heisst nicht, dass der Arbeitskräftemangel vorbei ist. Arbeitskräfteangebot und -nachfrage passen manchmal nicht zusammen.
- Auf die mittlere und lange Frist sind zwei Hebel entscheidend: Das inländische Arbeitskräftepotenzial muss besser genutzt und die Produktivität gesteigert werden. Nur so lässt sich der Wohlstand sichern.

