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Rentenalter erhöhen? Der Arbeitsmarkt ist berei

Europa altert – und fast überall reagiert die Politik mit einem höheren Rentenalter. Eine kleine Minderheit tut sich schwer – darunter die Schweiz. Dabei zeigt ein nüchterner Blick auf die Zahlen: Unser Arbeitsmarkt kann ältere Arbeitnehmende gut integrieren, und sie werden immer gefragter. Wer den Sozialstaat sichern und den Wohlstand erhalten will, wird um ein höheres Rentenalter nicht herumkommen.

Man staunt. Während halb Europa das staatliche Pensionsalter hinaufschraubt, klammert sich die Schweiz an Ausreden. Der gängige Vorwand: Ältere würden systematisch aussortiert und ab spätestens 55 nicht mehr beschäftigt. Ein höheres Rentenalter sei deshalb unsozial, ja fast zynisch.

Just in der Schweiz – einem Land mit rekordhoher Erwerbsquote, tiefer Arbeitslosigkeit und strukturellem Arbeitskräftemangel – soll ein höheres Rentenalter nicht funktionieren, weil die Arbeitgeber angeblich keine Älteren beschäftigen wollen. Höchste Zeit für mehr Sachlichkeit in dieser emotionalen Diskussion.

Mehr Ü60 im Arbeitsmarkt als je zuvor

Eindrücklich ist auch die Entwicklung in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen: Zwischen 2010 und 2024 ist die Zahl der Erwerbstätigen in dieser Gruppe von rund 620’000 auf 930’000 gestiegen – ein Plus von 50 Prozent. Zum Vergleich: Die Anzahl der Erwerbstätigen zwischen 40 und 54 Jahren ist lediglich um 4 Prozent gestiegen. Dies hat auch demografische Ursachen, ist jedoch nur möglich, wenn Arbeitgeber mehr ältere Arbeitnehmende beschäftigen.

Arbeitslos? Ältere sind seltener betroffen

Ältere haben ein tiefes Risiko, arbeitslos zu werden. Die Arbeitslosenquote der 50– bis 64-Jährigen lag im April 2025 bei 2,6 Prozent und damit tiefer als bei den 25- bis 49-Jährigen mit 3,1 Prozent. Auch die Erwerbslosenquote – quasi die grosse Schwester der Arbeitslosenquote, welche noch etwas breiter gefasst wird und international besser vergleichbar ist – kommt zum Schluss, dass die Erwerbslosigkeit bei den 55-64-Jährigen tiefer ist als in allen anderen Altersgruppen. Mit Abstand am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen ist die Alterskohorte von 15 bis 24 Jahren. Abbildung 2: Die Arbeitslosenquote Ü60 steigt nur, weil die Erwerbstätigen den Arbeitsmarkt verlassen. Die Anzahl der Arbeitslosen insgesamt ist ausserordentlich tief.

Die Gewerkschaften greifen gerne zur Arbeitslosenquote ab 60 Jahren, um ihre Behauptung zu untermauern, Ältere würden nicht mehr eingestellt oder aussortiert. Diese Zahl ist jedoch mit Vorsicht zu geniessen – aus guten methodischen Gründen. Bereits ab 55 sinkt die Erwerbsbeteiligung, ab 60 verstärkt durch Frühpensionierungen, Teilzeitmodelle, gesundheitliche Gründe oder persönliche Entscheidungen. Die statistische Basis verändert sich: Die Gruppe der Erwerbspersonen wird nicht nur kleiner, sondern auch selektiver. Wer über 60 ist, unterscheidet sich in Sachen Arbeitsmarktstatus strukturell von jüngeren Erwerbsgruppen. Das wirkt sich auf die Statistik aus: Schon geringe Veränderungen bei den Arbeitslosenzahlen führen – bei reduziertem Nenner – zu überproportional hohen Quoten. Was auf den ersten Blick nach erhöhter Altersarbeitslosigkeit aussieht, ist oft ein rechnerischer Effekt. Aus diesem Grund geben nationale und internationale Behörden die Erwerbs- und Arbeitslosigkeit in breiteren Alterbändern bekannt.

Wer trotzdem auf die Arbeitslosenzahlen ab 60 verweist, sollte genauer hinschauen: Im Jahr 2024 waren 1’320 Personen im Alter von 64 Jahren arbeitslos – weniger als halb so viele wie bei den 32-Jährigen, wo es 3’280 Personen von Arbeitslosigkeit betroffen waren. Trotzdem war die Arbeitslosenquote bei den 64-Jährigen zwar etwas höher (3,8 Prozent statt 3,0 Prozent), weil es in diesem Alter viel weniger Erwerbspersonen gibt: Wenn die Vergleichsgruppe kleiner ist, wirkt sich jeder einzelne Fall stärker auf die Quote aus.

Ob mit 30 oder mit 60 Jahren: Arbeitslosigkeit ist für die Betroffenen immer eine emotionale und finanzielle Belastung. Jeder einzelne Fall bleibt ein Schicksal und muss geprüft und unterstützt werden. Aber die Behauptung, dass die Arbeitslosigkeit ab 60 stark ansteigt, hält einer genauen Betrachtung nicht stand.

Ältere suchen länger

Fest steht hingegen, dass ältere Arbeitslose länger benötigen, bis sie eine Stelle finden. So waren Arbeitslose zwischen 50 und 64 Jahren im Schnitt 7,9 Monate auf Stellensuche, während die jüngere Kohorte zwischen 25-49 Jahre im Schnitt 5,8 Monate benötigte.

Langzeitarbeitslosigkeit bei Personen ab 60 ist jedoch kein Massenphänomen. Im April 2025 galten 3’342 Personen zwischen 60 und 64 Jahren als langzeitarbeitslos. Das sind 3’342 Personen zu viel und dies ist für Betroffenen oft tragisch. Dies als Indiz dafür zu nehmen, dass Arbeitgeber kein Interesse an älteren Personen hätten, greift jedoch zu kurz.

Natürlich gibt es Unternehmen, die zögern, ältere Arbeitnehmende einzustellen. Dies geschieht jedoch äusserst selten aus Altersabneigung. Vielmehr spielen andere Gründe weit bedeutendere Rollen: Erstens sind ältere Personen – bei gleichem Lohn – aufgrund der deutlich höheren BVG-Abzüge teurer. Die BVG-Reform 2021 hätte hier Abhilfe geschaffen. Zweitens wird mitunter angenommen, das Profil der älteren Person passe nicht zur ausgeschriebenen Stelle. Drittens müssen Arbeitgeber mit einer baldigen Pensionierung rechnen – etwa, dass eine 60-jährige Person nur noch zwei bis fünf Jahre im Unternehmen bleibt. Ein höheres Rentenalter entschärft diese Unsicherheit: Wer mit 60 noch sieben statt nur zwei Jahre arbeitet, wird für Unternehmen sofort attraktiver. Investitionen in Weiterbildung oder interne Transfers lohnen sich wieder.

Ältere Arbeitnehmende werden immer attraktiver

Zweifellos könnten – auch aus Sicht der Arbeitgeber – noch mehr ältere Personen erwerbstätig sein, denn das Potenzial ist trotz steigender Erwerbsquote noch nicht ausgeschöpft. Obwohl sie weiterhin gebraucht würden, verlassen viele ältere Personen den Arbeitsmarkt– sei es aus persönlichen Gründen, oder weil ihre Qualifikationen scheinbar nicht mit den Anforderungen der Arbeitgeber übereinstimmen.

Auch der Schweizerische Arbeitgeberverband hat diese Herausforderung erkannt und die Initiative focus50+ lanciert. Ziel ist es, den Verbleib der über 50-Jährigen im Arbeitsmarkt zu fördern – durch Sensibilisierung der Unternehmen, Engagement für verbesserte Rahmenbedingungen und konkrete Unterstützung bei der Wiedereingliederung älterer Stellensuchender sowie Förderung des Dialogs zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.

Diese Bemühungen erhalten zusätzlichen Rückenwind durch die demografische Entwicklung: In den nächsten Jahren werden altersbedingt mehr Personen aus dem Erwerbsleben ausscheiden als neue nachrücken. Migration kann zwar Entlastung bringen, doch auch unsere Nachbarländer stehen vor denselben Herausforderungen und setzen zunehmend auf Rückkehranreize für ihre Arbeitskräfte. Gleichzeitig können es sich viele Menschen leisten, früher in Pension zu gehen.

All dies verschärft den Wettbewerb um erfahrene Arbeitskräfte. Beschäftigte über 55 werden künftig noch gefragter sein – und Unternehmen geraten unter Zugzwang, dieser Generation ein attraktives, wertschätzendes Umfeld zu bieten.

Die Fakten liegen auf dem Tisch: Immer mehr Ältere sind erwerbstätig, die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe ist tief, und der Arbeitsmarkt braucht sie dringender denn je. Die Zukunftsperspektiven älterer Arbeitnehmender sind gut und werden durch die beschriebenen Trends noch besser. Ein höheres Rentenalter wäre für die Schweizer Volkswirtschaft nicht nur tragbar – es wäre Medizin gegen den Arbeitskräftemangel und Balsam für die AHV – und damit besonders wünschenswert für die Jungen, den breiten Mittelstand und die arbeitstätige Bevölkerung.

Der Artikel stammt von der Website des Schweizerischen Arbeitgeberverbands.

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